Christina II
Diese kleine Raserei beruht zuletzt auf der Erfahrung von Aussichtslosigkeit, die Absenz der Hoffnung. Daran arbeitet aber nicht der andere, das Wesen der Begierde, sondern sie ist selbstgeschaffene Illusion, die in der wunderbaren Wirklichkeit birst. Im Hirn läufts wie geschmiert, im tatsächlichen Leben gibts dafür dann keine Krücken.
Christina und ich trafen uns an dem Hochzeitstag im Hotel wieder und schlenderten gemeinsam zur Kneipe in der Zeche, wo die Hochzeitsfeier im großen Kreise fortgeführt wurde. Christina und ich verbrachten den Abend. Wir tanzten und spazierten durch das Gelände, bewunderten die alten großartigen Gebäude und Gerätschaften und schienen bestens miteinander zu harmonieren. Wir redeten über Filme, über Western zumal, und ich wußte einige fachmännische Feinheiten in das Gespräch zu weben. Wir tranken Merlot. Ich trank eine ganze Menge davon. Sie weniger, nicht zuletzt, weil sie dieser Traube im Allgemeinen und hier im Besonderen wenig abgewinnen konnte. Ein Umstand, der durchaus nachvollziehbar ist. Es ist sicher keine Frage des Geschmacks. Einige Trauben kann man einfach nicht riechen, weil deren Düfte falsch sind, ein Gespinnst falscher Hoffnung und trügerischer Glückseligkeit. Nennt man sie beim Namen, zeiht man sicher den Unmut nicht weniger zu, aber Zinfandel, Bacchus und Shiraz sind für einen Schluck gut, ein Viertel höchstens. Danach werden sie zur Plage. Nicht erst das Übel des Folgetages, schon der Geschmack zur Nacht ist der Abklatsch eines billigen Paradieses von süßer, klebriger Konsistenz, obwohl diese Trauben nicht zu einem lieblichen Wein vergoren werden. Saugt man den ersten rosa Duft dieser Klischees, ahnt man die Schönfärberei ihrer Produzenten und den Lug und Trug hinter der vollmundigen Fassade professioneller Kelterei. Im Gegensatz dazu nimmt sich ein Merlot geradezu wie biederer Bodensatz bester Bonhomie. Ich trank.
Der Abend schritt voran und ich in eine delikat destillate Situation, einem nahenden Debakel, dem zu entrinnen kaum möglich schien: hie Lockung des Weibes, hie Angst vor der Zurückweisung oder schlimmer noch, Versagen im wichtigsten Moment und Skrupeln wegen bestehender Beziehung. Flucht, war der Gedanke. Und wie so oft, nahte das Rettende, als das Ungemach am unausweichlichsten auf mich eindrang. Ich gewahrte das Hochzeitsbuch. Das war prima vista sehr clever gedacht, aber letztlich natürlich kontraproduktiv, weil keine akzeptable Lösung: das Inkommensurable zwischen Libido und Korb- und Versagensangst wird nicht aufgehoben durch Sublimation. Hier bahnte sich die Unterminierung des gesamten Ichsystems an. – Ich nahm das Hochzeitsbuch zur Hand. Und ich las und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Hier konnte ich beweisen, was für ein irre geistreicher Kopf ich bin. Und diesen Beweis führte ich mit Sicherheit, soweit das nach zahlreichen Gläsern Merlot möglich war. Ich dichtete, zeichnete, foppte und übertraf mich selbst. Zugleich bewies ich allerdings auch, dass ich nicht mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben umzugehen verstand.
Gegen drei Uhr (so spät wird es schon gewesen sein), ich arbeitete gerade an einer besonders dämlichen Version des Abends, indem ich die sich mittlerweile herauskristallisierenden Essenzia in Worten bildlich darstellte. Ich formte das Bezeichnete aus Worten. Es sollte ein Stilleben mit einer Flasche Merlot, nebst einem gefüllten Weinkelch auf einem Tisch werden. So wurde der Tisch aus zahlreichen Worten »Tisch« gebildet; desgleichen die Flasche Merlot aus unzähligen Worten »Merlot« usw. Es war eine Heidenarbeit, die ich gar nicht zu Ende bringen konnte – nicht in dieser Nacht, nicht nach soviel Wein. Ich war sehr vertieft und langweilte damit meine Tischnachbarin. Die sich schließlich erhob.
Ich geh jetzt zurück ins Hotel, sagte Christina und blickte mich an, kommt wer mit?
Da war es wieder, dieses Dilemma. Ganz meiner künstlerischen Arbeit verfallen, erwog ich, was mich zu gewärtigen hätte, wenn ich mitginge. Ich würde womöglich handeln müssen. Oder ging da meine Fantasie mit mir durch. Das lag mir nicht fern. Der sichere Weg war, anderen die Sache in die Hand zu geben. Ich entschied mich salomonisch und sagte, wenn du nicht alleine durchs Dunkel gehen willst, begleite ich dich gerne, ansonsten bleibe ich noch ein bisschen.
Sie ging – ohne mich. Und ich wachte andern Tags reichlich zerknittert (der Merlot) unverhältnismäßig früh (alkoholbedingte vier Stunden Schlaf) auf. Ich rief die Dame telefonisch zum Frühstück, das eigentlich später vereinbart war. Ich saß bei nicht vollem Bewußtsein und über einer Schale Dosenobst, das ich nur mit äußerster Mühe zu schlucken vermochte, als Christina den Frühstücksraum betrat. Sie sah hinreißend aus, in ihren schön hellbraunen Cordhosen, soviel war ich in der Lage wahrzunehmen. Das Frühstück verlief sehr harmonisch. Ich focht beharrlich einen Kampf gegen das innere Weh übermäßiger Blutalkoholkonzentration und obsiegte. Danach fragte sie, ob sie mich denn noch zum Bahnhof bringen könne. Womit ich völlig einverstanden war. Die Sache war doch noch nicht ganz aussichtslos. Ich stieg freudestrahlend und mit einem Hauch von Siegerwillen in das Auto und liess mich auf dem Beifahrersitz nieder. Bei geschickter Sprachführung und entspannter Unterhaltung, ließe sich vielleicht noch etwas erreichen, ein fester Kontakt? – Dann fuhr sie los und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Vom ersten, rückwärts zurückgelegten Meter an verschlechterte sich meine gesamte Physis. Aufgrund der vorabendlichen Merlot-Kur zeigte sich jetzt unvermittelt eine Schwächung meines Magens. Und ich hatte gerade, wenn auch unter Anstrengung, sehr herzhaft gefrühstückt.
Auf der Fahrt war ich sehr einsilbig, hingegen erfreute sich Christina bester Gesundheit und redete sehr angeregt – über das Auto ihres Bruders, in dem wir saßen, und das Golfspielen im Allgemeinen und Besonderen. Ich hingegen spielte mit dem Gedanken, sie zu bitten, einen Parkplatz anzufahren, damit ich mich in der schönen Natur erleichtern könnte. Aber hier galt es, keine Schwäche an den Tag zu legen und durchzuhalten.
In der Nähe des Bahnhofs hielt sie an, ich wankte um das Auto. Sie öffnete den Kofferraum, ich zog meinen wie immer überpackten Trolley heraus und stellte ihn ab. Dann standen wir uns gegenüber – und nahmen uns in die Arme. Zugleich kämpfte ich um meine Contenance, ein schlimmer Brechreiz flog mich an. Ich aber blieb stark. Allein, meine Umarmung war schwach.
So nahmen wir Abschied, an diesem sonnigen Augusttag. Kaum zehn Minuten später saß ich im Zug nach Bremen und mein Zustand verbesserte sich minütlich. Innerhalb kürzester Zeit war ich zu Großem bereit, leider zu spät. Erst elf Monate später begegnete ich Christina wieder, die seit jenem Sonntag im August still in einem versteckten Kämmerlein meines Hirns und Herzens geschlafen hatte.
Christina und ich trafen uns an dem Hochzeitstag im Hotel wieder und schlenderten gemeinsam zur Kneipe in der Zeche, wo die Hochzeitsfeier im großen Kreise fortgeführt wurde. Christina und ich verbrachten den Abend. Wir tanzten und spazierten durch das Gelände, bewunderten die alten großartigen Gebäude und Gerätschaften und schienen bestens miteinander zu harmonieren. Wir redeten über Filme, über Western zumal, und ich wußte einige fachmännische Feinheiten in das Gespräch zu weben. Wir tranken Merlot. Ich trank eine ganze Menge davon. Sie weniger, nicht zuletzt, weil sie dieser Traube im Allgemeinen und hier im Besonderen wenig abgewinnen konnte. Ein Umstand, der durchaus nachvollziehbar ist. Es ist sicher keine Frage des Geschmacks. Einige Trauben kann man einfach nicht riechen, weil deren Düfte falsch sind, ein Gespinnst falscher Hoffnung und trügerischer Glückseligkeit. Nennt man sie beim Namen, zeiht man sicher den Unmut nicht weniger zu, aber Zinfandel, Bacchus und Shiraz sind für einen Schluck gut, ein Viertel höchstens. Danach werden sie zur Plage. Nicht erst das Übel des Folgetages, schon der Geschmack zur Nacht ist der Abklatsch eines billigen Paradieses von süßer, klebriger Konsistenz, obwohl diese Trauben nicht zu einem lieblichen Wein vergoren werden. Saugt man den ersten rosa Duft dieser Klischees, ahnt man die Schönfärberei ihrer Produzenten und den Lug und Trug hinter der vollmundigen Fassade professioneller Kelterei. Im Gegensatz dazu nimmt sich ein Merlot geradezu wie biederer Bodensatz bester Bonhomie. Ich trank.
Der Abend schritt voran und ich in eine delikat destillate Situation, einem nahenden Debakel, dem zu entrinnen kaum möglich schien: hie Lockung des Weibes, hie Angst vor der Zurückweisung oder schlimmer noch, Versagen im wichtigsten Moment und Skrupeln wegen bestehender Beziehung. Flucht, war der Gedanke. Und wie so oft, nahte das Rettende, als das Ungemach am unausweichlichsten auf mich eindrang. Ich gewahrte das Hochzeitsbuch. Das war prima vista sehr clever gedacht, aber letztlich natürlich kontraproduktiv, weil keine akzeptable Lösung: das Inkommensurable zwischen Libido und Korb- und Versagensangst wird nicht aufgehoben durch Sublimation. Hier bahnte sich die Unterminierung des gesamten Ichsystems an. – Ich nahm das Hochzeitsbuch zur Hand. Und ich las und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Hier konnte ich beweisen, was für ein irre geistreicher Kopf ich bin. Und diesen Beweis führte ich mit Sicherheit, soweit das nach zahlreichen Gläsern Merlot möglich war. Ich dichtete, zeichnete, foppte und übertraf mich selbst. Zugleich bewies ich allerdings auch, dass ich nicht mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben umzugehen verstand.
Gegen drei Uhr (so spät wird es schon gewesen sein), ich arbeitete gerade an einer besonders dämlichen Version des Abends, indem ich die sich mittlerweile herauskristallisierenden Essenzia in Worten bildlich darstellte. Ich formte das Bezeichnete aus Worten. Es sollte ein Stilleben mit einer Flasche Merlot, nebst einem gefüllten Weinkelch auf einem Tisch werden. So wurde der Tisch aus zahlreichen Worten »Tisch« gebildet; desgleichen die Flasche Merlot aus unzähligen Worten »Merlot« usw. Es war eine Heidenarbeit, die ich gar nicht zu Ende bringen konnte – nicht in dieser Nacht, nicht nach soviel Wein. Ich war sehr vertieft und langweilte damit meine Tischnachbarin. Die sich schließlich erhob.
Ich geh jetzt zurück ins Hotel, sagte Christina und blickte mich an, kommt wer mit?
Da war es wieder, dieses Dilemma. Ganz meiner künstlerischen Arbeit verfallen, erwog ich, was mich zu gewärtigen hätte, wenn ich mitginge. Ich würde womöglich handeln müssen. Oder ging da meine Fantasie mit mir durch. Das lag mir nicht fern. Der sichere Weg war, anderen die Sache in die Hand zu geben. Ich entschied mich salomonisch und sagte, wenn du nicht alleine durchs Dunkel gehen willst, begleite ich dich gerne, ansonsten bleibe ich noch ein bisschen.
Sie ging – ohne mich. Und ich wachte andern Tags reichlich zerknittert (der Merlot) unverhältnismäßig früh (alkoholbedingte vier Stunden Schlaf) auf. Ich rief die Dame telefonisch zum Frühstück, das eigentlich später vereinbart war. Ich saß bei nicht vollem Bewußtsein und über einer Schale Dosenobst, das ich nur mit äußerster Mühe zu schlucken vermochte, als Christina den Frühstücksraum betrat. Sie sah hinreißend aus, in ihren schön hellbraunen Cordhosen, soviel war ich in der Lage wahrzunehmen. Das Frühstück verlief sehr harmonisch. Ich focht beharrlich einen Kampf gegen das innere Weh übermäßiger Blutalkoholkonzentration und obsiegte. Danach fragte sie, ob sie mich denn noch zum Bahnhof bringen könne. Womit ich völlig einverstanden war. Die Sache war doch noch nicht ganz aussichtslos. Ich stieg freudestrahlend und mit einem Hauch von Siegerwillen in das Auto und liess mich auf dem Beifahrersitz nieder. Bei geschickter Sprachführung und entspannter Unterhaltung, ließe sich vielleicht noch etwas erreichen, ein fester Kontakt? – Dann fuhr sie los und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Vom ersten, rückwärts zurückgelegten Meter an verschlechterte sich meine gesamte Physis. Aufgrund der vorabendlichen Merlot-Kur zeigte sich jetzt unvermittelt eine Schwächung meines Magens. Und ich hatte gerade, wenn auch unter Anstrengung, sehr herzhaft gefrühstückt.
Auf der Fahrt war ich sehr einsilbig, hingegen erfreute sich Christina bester Gesundheit und redete sehr angeregt – über das Auto ihres Bruders, in dem wir saßen, und das Golfspielen im Allgemeinen und Besonderen. Ich hingegen spielte mit dem Gedanken, sie zu bitten, einen Parkplatz anzufahren, damit ich mich in der schönen Natur erleichtern könnte. Aber hier galt es, keine Schwäche an den Tag zu legen und durchzuhalten.
In der Nähe des Bahnhofs hielt sie an, ich wankte um das Auto. Sie öffnete den Kofferraum, ich zog meinen wie immer überpackten Trolley heraus und stellte ihn ab. Dann standen wir uns gegenüber – und nahmen uns in die Arme. Zugleich kämpfte ich um meine Contenance, ein schlimmer Brechreiz flog mich an. Ich aber blieb stark. Allein, meine Umarmung war schwach.
So nahmen wir Abschied, an diesem sonnigen Augusttag. Kaum zehn Minuten später saß ich im Zug nach Bremen und mein Zustand verbesserte sich minütlich. Innerhalb kürzester Zeit war ich zu Großem bereit, leider zu spät. Erst elf Monate später begegnete ich Christina wieder, die seit jenem Sonntag im August still in einem versteckten Kämmerlein meines Hirns und Herzens geschlafen hatte.
Manngold - 24. Apr, 20:55
0 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks